Zum Tag der Logopädie gibt uns Logopädin Eva Küttel einen Einblick in ihre Arbeit mit unseren Schülerinnen und Schülern. Ein Interview über die Therapiemöglichkeiten, über den Beziehungsaufbau aber auch über Höhen und Tiefen.
Liebe Eva, du gehörst seit bald 10 Jahren zu unserem Team. Welche Erfahrungen hast du seither im Sonderschulbereich gemacht?
Im Sonderschulbereich arbeite ich als Logopädin in engem Austausch mit den Lehr- und Bezugspersonen der Schüler*innen. Das gibt mir die Möglichkeit, die Kinder und Jugendlichen in ihrem gewohnten Umfeld – im Schulzimmer oder in einem Rückzugsraum – zu besuchen und dort alltagsnah mit ihnen zu arbeiten.
Wie macht sich das alltagsnahe Arbeiten bemerkbar?
Die Nähe hilft uns, logopädische Übungen und neue Erkenntnisse direkt in den pädagogischen und schulischen Alltag einfliessen zu lassen. Eine Isolation im «stillen Kämmerli» der Logopädie wäre meistens nicht förderlich. Auch der regelmässige Austausch mit den Bezugspersonen hat einen wichtigen Stellenwert, um die Umstände der Schüler*innen zu erkennen und zu verstehen.
Während sich die Logopädie eigentlich mit Sprach- und Sprechstörungen auseinandersetzt, klingt das nach einem ganzheitlichen Ansatz. Wie darf man das verstehen?
Wir arbeiten an der sozialpädagogischen Schule formidabel nach dem lösungsorientierten Ansatz und versuchen die Schüler*innen immer ganzheitlich zu fördern. Wenn ein Kind bereits weinend zur Therapiestunde erscheint, macht es wenig Sinn, auf strikte Sprechübungen zu beharren. Dann gilt es zuerst die Situation des Schülers oder der Schülerin zu verstehen und darauf einzugehen.
«Nicht jede und jeder kommuniziert mit Sprache»
Das scheint spannend und herausfordernd zugleich. Welche Eigenschaft musst du als Mensch mitbringen, um deiner Arbeit als Logopädin gerecht zu werden?
Empathie. Und das meine ich nicht als plumpes Stichwort, sondern erscheint mir tatsächlich am wichtigsten. Ich muss mich in mein Gegenüber hineinversetzen können, um eine Beziehung aufzubauen. Dazu gehört auch die Kommunikationsfähigkeit meinerseits, damit ich mich den aktuellen Möglichkeiten des Kindes anpassen kann. Nicht jede und jeder kommuniziert mit Sprache.
Kannst du das ausführen?
Während Lese- und Rechtschreibschwächen die häufigsten Störungsbilder in unserer Sonderschule sind, gibt es auch Schüler*innen, die gar nicht oder nur selten sprechen. Das heisst, es wird noch keine Lautsprache verwendet oder deren Zweck wurde vom Kind schlichtweg noch nicht erkannt.
Wie gehst du damit um?
In solchen Fällen wird meistens das PECS – also Picture Exchange Communication System – eingeführt, damit der Zweck der Kommunikation auch für das Kind ersichtlich wird. Dabei kommen oft sogenannte «Kommunikationsschatten» zum Einsatz. Das ist eine Drittperson, die das Kind zur Therapiesitzung begleitet. Dieser «Schatten» nimmt nicht aktiv am Gespräch teil, sondern unterstützt das Kind nur dabei, sich auf seine eigene Art zu äussern. Beispielsweise indem Symbolkarten ausgewählt und an mich weitergereicht werden.
Wie erlebst du die Fortschritte, die Kinder durch die Logopädie erreichen?
Sehr individuell, denn jede Entwicklung ist personen- als auch situationsabhängig. Dennoch darf ich viele Fortschritte miterleben. Vor rund drei Jahren erhielt ich einen Schüler, der sich nur durch Schreien ausdrückte. Das war am Anfang sehr herausfordernd. Mithilfe unserer Logopädie-Stunden hat er aber den Sinn und Zweck der Lautsprache erkannt und als Sechsjähriger das erste Mal seine Mutter mit «Mama» angesprochen. Das war sowohl für die Familie als auch für mich ein bedeutungsvoller Moment.
Wie gehst du damit um, wenn keine Fortschritte erkennbar sind?
Dass gar keine Fortschritte gelingen, gibt es zum Glück sehr selten. Wenn ich dennoch einen solchen Fall erkenne, steht für mich die Transparenz gegenüber den Bezugspersonen an erster Stelle. Das hilft herauszufinden, ob parallel eine Schwierigkeit im Schulalltag besteht. Auch ein Gespräch mit den Eltern ist wichtig, um die weiteren Schritte zu besprechen. Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass auch vorübergehende Therapiepausen sinnvoll sein können.
Was gefällt dir besonders an deiner Arbeit mit Kindern?
Die Arbeit mit den Kindern empfinde ich als sehr erfrischend. Sie sind direkt und tragen das Herz auf der Zunge. Ihre ehrliche Art begeistert mich einfach! Selbst wenn die Schüler*innen unserer Sonderschule bereits ihr Päckchen zu tragen haben, erlebe ich sie unvoreingenommen und offen.
Was erfüllt dich persönlich in diesem Beruf als Logopädin?
Mir lag schon immer viel daran, andere unterstützen und ihnen etwas beibringen zu dürfen. Und ich hatte sehr früh erkannt, dass nicht jede und jeder von uns das Glück hat, seine Bedürfnisse problemlos formulieren zu können. Dabei erscheint es mir so wichtig, sein Inneres auch nach aussen tragen zu können. Als Logopädin bin ich an der Position, wo ich anderen Menschen genau dies ermöglichen kann.
Vielen Dank für das Interview.
Zur Person
Eva Küttel arbeitet seit August 2013 als Logopädin an der sozialpädagogischen Schule formidabel. Ihr Logopädiestudium absolvierte sie an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH) in Zürich. Heute ist sie zudem koordinative Leiterin unserer Schulischen Dienste.
Logopädie
Die Logopädie unterstützt als pädagogisch-therapeutische Massnahme Schüler*innen in ihrer sprachlichen Entwicklung. Dieses Förderangebot behandelt basale Kommunikationsschwierigkeiten, Aussprachestörungen, die Sprechatmung, Stimm- und Schluckstörungen wie auch Lese- und Rechtschreibstörungen. Ziel der logopädischen Therapie ist es, dass sich die Schüler*innen verständlich ausdrücken können: Sei dies mündlich, schriftlich oder mit unterstützter Kommunikation wie Gesten, Gebärdensprache und Kommunikationsgeräten. Dabei behält die Logopädie stets den ganzen Menschen im Blick und berücksichtigt nebst der sprachlichen Ebene auch die seelischen, sozialen und kulturellen Einflüsse.
Die Logopädie ist Teil der Schulischen Dienste unserer Tagessonderschule. Diese ermöglichen eine zusätzliche, individuelle Förderung. Handelt es sich um eine therapeutische Förderung, findet vorgängig eine umfassende und fundierte Abklärung statt, die Aufschluss über die Notwendigkeit der Therapie gibt.